Privatheit ist Bedingung für menschliche Freiheit und Kernelement des zivilen Lebens, heißt es in dem Buch „Privatheit im digitalen Zeitalter“, das der Historiker Wolfgang Schmale gemeinsam mit der Datenschutzexpertin und Juristin Marie-Theres Tinnefeld herausgegeben hat. Wie lässt sich jedoch ein Begriff wie „Privatheit“ oder das Konzept der informationellen Selbstbestimmung in die Vergangenheit übertragen und wie kann eine historische Perspektive und kulturgeschichtliche Einbettung die gegenwärtige Datenschutz-Debatte in Zeiten nach den Snowden-Leaks erweitern? Im Gespräch erläutert Wolfgang Schmale, inwiefern das massenhafte Sammeln von Daten durch Geheimdienste nicht unbedingt immer einen Qualitätssprung staatlicher Überwachung bedeutet und warum Staaten letztlich Schaden nehmen, wenn sie ihre Bürgerinnen und Bürger in hohem Maße ausspähen.
Linkliste: Wolfgang Schmale, Buch: Privatheit im digitalen Zeitalter (Böhlau 2014) gemeinsam mit Marie-Theres Tinnefeld, Geschichte des privaten Lebens (5 Bände), Foucault und Biopolitik (Wikipedia), Viktor Mayer-Schönberger (Wikipedia), Kassandra (Wikipedia)
Ornamente galten vor 1900 als bloßes Beiwerk, Zierde oder Staffage. Zwar wurde das Ornament, als „Haut der Gegenstände nach Außen“, auch vorher schon thematisiert, jedoch als verdächtiger, problematischer Grenzfall zwischen Zeichen, Rahmen oder Funktion und nicht als eigenständige Form. Sichtbaren Ausdruck erhält das Ornament als autonome Kunstform im Jugendstil, der ersten Lifestyle- und Designbewegung im Fin de Siècle. Zu deren bekanntesten Vertretern gehörten in Wien beispielsweise Gustav Klimt oder Otto Wagner. Andrea Wald ist Kulturwissenschaftlerin und sie untersucht das Ornament als Denkstil im Kontext von wissenschaftlichen Studien und kunsthistorischer Theorien. Es handelt sich außerdem um die erste SdK-Episode, für die sich ein Spaziergang durch Wien empfiehlt, weil die Debatten um das Ornament im Stadtraum erfahrbar sind, etwa beim Weg von der Wiener Ringstraße zum Looshaus am Michaelerplatz hin zur Linken Wienzeile.
Linkliste: Andrea Wald (University of Chicago, IFK), Historismus (Wikipedia), Wiener Ringstraße (Wikipedia), Jugendstil (Wikipedia), Eingangsportal der Weltausstellung 1900 von René Binet, Linke Wienzeile (Wikipedia), Gottfried Semper (Wikipedia), Adolf Loos (Wikipedia), Looshaus (Wikipedia), Alois Riegl (Wikipedia), Ernst Haeckel (Wikipedia), Hugo von Hofmannsthal (Wikipedia), Salzburger Festspiele
Die römische Geschichtsschreibung setzte erstaunlich spät ein. Erst gegen Ende des 3. Jahrhunderts vor Christus, nachdem Rom bereits ein bedeutender Akteur im Mittelmeerraum war, begannen römische Aristokraten mit den ersten schriftlichen Aufzeichnungen. Ein besonderes Merkmal dieser Historiographie ist, dass die frühen römischen Historiker ausschließlich Gesamtgeschichten verfassten, von der mythischen Stadtgründung durch Romulus und Remus bis zur eigenen Gegenwart im 2. Jahrhundert vor Christus. Der Historiker David Lindschinger untersucht diese nur in zahlreichen Fragmenten überlieferten Texte von insgesamt 15 Autoren und bettet sie in ihren sozio-politischen Kontext ein. Er versucht damit zu erklären, warum die römische Geschichte immer wieder so erzählt wurde, schießlich spielte die Erinnerungskultur bei den römischen Eliten eine zentrale Rolle, was sich zum Beispiel in komplexen Begräbnisritualen zeigt.
Linkliste: David Lindschinger (IFK), Titus Livius: Ab urbe condita (Wikipedia), Fabius Pictor (Wikipedia), The Fragments of the Roman Historians (Wikipedia), Livius Andronicus (Wikipedia), Mos maiorum (Wikipedia), Polybios (Wikipedia), Cato der Ältere (Wikipedia), Römische Republik (Wikipedia)
Höhlen werden seit vielen Jahrhunderten als Wirtschaftsräume genutzt und gelten zugleich als mythische Orte, die häufig mit Fruchtbarkeit assoziiert wurden. Mitte des 19. Jahrhunderts setzte eine neue Form der Tiefenaneignung ein: Höhlen wurden vermessen, kartografiert und benannt. Anschließend entstand nicht nur eine deutschnationale Vereinsbewegung durch engagierte Tiefenalpinisten, sondern setzte auch eine Verwissenschaftlichung ein, die mit der Einrichtung eines eigenen Lehrstuhls an der Universität Wien ihren Höhepunkt erreichte. Der Historiker Johannes Mattes hat eine Kulturgeschichte der Höhlenforschung geschrieben, in der es um das „Reisen ins Unterirdische“ geht. Wir sprechen über das Begehen von Höhlen von der Antike bis zur einsetzenden Verstaatlichung im Zuge ihrer wirtschaftlichen Ausbeutung im Rahmen der Höhlendüngeraktion und über die Popularisierung durch Schauhöhlen, die bis in die Gegenwart reicht.
Linkliste: Johannes Mattes: Reisens ins Unterirdische, Speläologie (Wikipedia), Karst (Wikipedia), Dachstein Mammuthöhle, Drachenhöhle (Wikipedia), Kurt Ehrenberg (Wikipedia), Othenio Abel (Wikipedia), Lamprechtsofen (Wikipedia), Lurgrotte, Höhlendüngeraktion (Wikipedia), Adolf Schmidl (Wikipedia), Geheimsache Bärenhöhle, Eisriesenwelt, Gassel-Tropfsteinhöhle Ebensee, Linzer Grottenbahn am Pöstlingberg (Wikipedia), Mammoth-Cave (Wikipedia)
Der Medienwissenschaftler Ramón Reichert untersucht digitale Medienkulturen und hat vor kurzem das Buch „Die Macht der Vielen. Über den neuen Kult der digitalen Vernetzung“ veröffentlicht. Darin geht es ihm um eine Zeitdiagnose, in der er beschreibt, wie die digitale Kommunikation neue Formen der Subjektivierung etabliert. Zwar kommt es zu einer Aufwertung kollektiver Partizipation, doch schwankt ihre Bewertung in einem breiten Spektrum zwischen Euphorie und Dystopie. Je nachdem, ob wir vom Internet als Freiheitstechnologie sprechen oder den Kontroll- und Steuerverlust beklagen. Wir reden unter anderem über Kulturen der Selbstregulierung, die durch digitale Vernetzung eine neue Qualität erreicht haben, etwa mit der Quantifed Self-Bewegung und neuen Formen der Katalogisierung des Selbst. Außerdem sprechen wir darüber, warum die Frontend-Euphorie nach Snowden zum Problem wird und wieso „Die Macht der Vielen“ nicht „Die Unmacht der Vielen“ heißt.
Linkliste: Ramón Reichert, Die Macht der Vielen. Über den neuen Kult der digitalen Vernetzung (transcript), Michael Jackson: The Mask Project, Critical Code Studies, Countersurveillance (Wikipedia), Panopticon (Wikipedia), Internet Eyes (Futurezone), Quantified Self (Wikipedia), Geert Lovink, Edward Snowden (Wikipedia), DIY-Kultur (Wikipedia)