Der Historiker Herwig Czech vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) forscht über NS-Biopolitik und erklärt in dieser SdK-Ausgabe die Unterschiede zwischen T4-Euthanasie, dezentraler Euthanasie und Kindereuthanasie. Nachdem die Umsetzung der Aktion T4 aufgrund von Protesten der Bevölkerung eingestellt wurde, setzten die NS-Ärzte und AnstaltsmitarbeiterInnen bei der Ermordung von PatientInnen auf Verschwiegenheit. So ist es heute weniger der Nachweis der aktiven Tötungen, die der Forschung Probleme bereiten, sondern die nicht gerichtsmedizinisch erkennbaren Tötungen, die als Übersterblichkeit statistisch ableitbar sind und die ein Ergebnis der NS-Politik der unauffälligen Vernichtung waren.
Linkliste: Wolfgang Neugebauer, Heinrich Gross, Spiegelgrund (virtuelle Ausstellung), Dissertation: Ärzte am Volkskörper. Die Wiener Medizin und der Nationalsozialismus, Kindereuthanasie (Wikipedia), Otto-Wagner-Spital (Wikipedia), Steinhof (Wikipedia), Wasserkopf oder Hydrocephalus (Wikipedia), Feldhof in Graz (Wikipedia), Wiener Stadt- und Landesarchiv, Götz Aly (Wikipedia), Arbeitsgemeinschaft Kritische Medizin, Gräberfeld Hall in Tirol, Institute of Science and Technology Austria in Gugging, Schloss Hartheim (Wikipedia), Emil Gelny, Völkischer Beobachter (Wikipedia), Mauer-Öhling (Wikipedia), APART-Stipendium der ÖAW
Wann ist denn ein Thema „ausdiskutiert“ und was ist das „bessere“ Argument? Die Historikerin Nina Verheyen untersucht Diskussionsformationen in der deutschen Nachkriegsgeschichte und zeigt, dass Diskussionspraxen kulturell variabel sind und sich historisch verändern. Sie sind damit auch eingebettet in unterschiedliche Machtbeziehungen, die nicht vom Inhalt der Gespräche abstrahiert werden können.
Der zweite Teil des Gesprächs dreht sich um das Thema „Publikation“: Nina Verheyen beschreibt den Weg ihrer Dissertation von der Fertigstellung bis zur Publikation – zwei Jahre, in denen sie nicht nur die Druckkosten einwerben musste, sondern auch selbst für das Lektorat verantwortlich war. Aber warum sind der Sachbuchmarkt und der Markt für akademisch-wissenschaftliche Bücher so getrennt?
Linkliste: Nina Verheyen, Diskussionslust. Eine Kulturgeschichte des „besseren Arguments“ in Westdeutschland, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010., Jürgen Habermas (Wikipedia), Michel Foucault (Wikipedia), Der internationale Frühschoppen mit Werner Höfer, Sozialistischer Deutscher Studentenbund (SDS), die tageszeitung, Long Durée (Wikipedia), FWF – Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, Liebe in Paarkorrespondenzen des 19. und 20. Jahrhunderts
Warum heißen Kommunikationsinstanzen im Internet eigentlich Server? Und warum wurde der Dienstbegriff in den 70er Jahren von den Mitarbeitern im Xerox Parc in Palo Alto auf die Technik übertragen? Das ist die Ausgangsfrage für Markus Krajewski in seiner Mediengeschichte der Dienerfigur – der Diener als Instanz der Kommunikation, die Informationen verteilt, aggregiert und filtert. Eine Entwicklungsgeschichte vom barocken Kammerdiener zum Internetserver, in der Markus Krajewski sich die Frage stellt, wie sich Dienstfunktionen seit der Frühen Neuzeit beschreiben lassen. In den Blick geraten Unterlinge, k.k. Hofbrotabschneider und k.k. Hofofenheizer ebenso, wie die Diener Goethes, die alle einheitlich Karl genannt wurden. Am Ende stellt sich die Frage, ob die Entwicklung vom Client-Server-Model zum Peer-to-Peer-Model nicht die Überwindung der Feudalgesellschaft im Digitalen darstellt?
Linkliste: Homepage von Markus Krajewski, Der Diener. Mediengeschichte einer Figur zwischen König und Klient, Ask Jeeves, Alan Kay (Wikipedia), Xerox PARC (Wikipedia), Ethernet (Wikipedia), Robert Metcalfe (Wikipedia), Friedrich Nietzsche: Fröhliche Wissenschaft, Michelmann kömmt: Ein Hinweis dazu findet sich auch beim Wikipedia-Eintrag von Wilhelm Weber: Telegraphen-Übertragung in Göttingen zu Gauß, Peer-to-Peer (Wikipedia)
Friedrich Nietzsche: Fröhliche Wissenschaft
Anders als heute war ein Suizid bzw. ein Suizidversuch in der Frühen Neuzeit ein Kriminalfall, der die Gerichte beschäftigte. Denn bei einer Selbst-Tötung wurde nicht nur das Begräbnis auf dem Friedhof verweigert, sondern drohte auch die Konfiskation des Vermögens. Doch es waren nicht nur weltliche Konsequenzen zu befürchten: Nach christlicher Lehre begehen Suizidenten eine schwere Sünde, ohne Gelegenheit mehr zu einer Beichte. Ein Ausweg aus diesem Dilemma war ein umgelenkter Selbstmord oder Suizidalmord — ein heute wenig beachtetes Phänomen der Frühen Neuzeit, bei dem Suizidenten Verbrechen begehen, die ein Todesurteil nach sich ziehen. Evelyne Luef stellt in dieser SdK-Folge ihr Dissertationsthema über Suizid in der Frühen Neuzeit — im Vergleich Schweden und Österreich — vor.
Linkliste: Suizid (Wikipedia), Großes vollständiges Universallexicon aller Wissenschaften und Künste (1731-1754) von Johann Heinrich Zedler, Melancholie (Wikipedia), Marietta Blau-Stipendium
Frag- und Kundschaftsämter in der Habsburgermonarchie; das ist das Forschungsfeld des Historikers Anton Tanter. Er forscht damit nicht nur zu frühneuzeitlicher Informationssuche und Informationsvermittlung, sondern beschreibt Adressbüros als Vorgeschichte von Internetsuchmaschinen. Was machten beispielsweise Menschen im 18. Jahrhundert, wenn sie auf Arbeitssuche oder Wohnungssuche waren? Anton Tantner erklärt in dieser SdK-Ausgabe, was Fragämter sind und wie in einer Welt vor Google, Craigslist und Kleinanzeigenmarkt Arbeitsplätze, Informationsaustausch, Kreditvergabe oder Botendienste vermittelt wurden.
Linkliste: Webseite von Anton Tantner, Projektbeschreibung über Adressbüros als Vorgeschichte der Internetsuchmaschine, Bazar, Théophraste Renaudot (Wikipedia), Peter Burke (Wikipedia): Papier und Marktgeschrei, La Gazette de France (Wikipedia), Wiener Zeitung (Wikipedia); digitalisierte Ausgaben (ANNO), Hausnummer (Wikipedia), Arlette Farge (Wikipedia), Unflat, Seelenkonskription: Dissertation von Anton Tantner im Volltext als PDF, Formular, Michael Hochedlinger: Aktenkunde, Bloglines, Blog von Anton Tantner, Jungle World, Literar-Mechana